02 Der Forschungsprozess

Einführung in die quantitativen Forschungsmethoden

Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess

Der sozialwissenschaftliche Forschungsprozess

  • Modell des Forschungsprozesses nach Tausendpfund (2018), Kap. 3
  • (sozialwissenschaftliche) Forschung funktioniert oft anders und zirkulär
    • ↔︎ das Modell hilft uns trotzdem gerade am Anfang.

Forschungsthema

  • Eine Frage oder ein Thema, das Sie interessiert und bewegt

→ Was ist das bei Ihnen?

Entwicklung einer Forschungsfrage

  • Vom Forschungsthema zur Forschungsfrage
    • Herausarbeiten von Fragen durch Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur
    • z.B. offene Fragen, neue Anwendungen, empirische Überprüfungen…
  • Einschränkung des Themas
    • für Hausarbeiten: je kleiner desto besser → Fragen, die sich beantworten lassen
    • im Idealfall: Einschränkung basierend auf Relevanz des Falls
  • Bsp. Forschungsthema: Wahlbeteiligung
  • Bsp. Forschungsfrage: Welche Faktoren erklären Unterschiede in der Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen innerhalb Brandenburgs?

Arten von Forschungsfragen

  • normative Forschungsfragen: Soll-Fragen und Bewertungen
    • eher in der Philosophie und politischen Theorie beheimatet
  • deskriptive Forschungsfragen: Beschreibung
    • besonders relevant in Bereichen wo noch wenig Wissen vorhanden ist
  • erklärende Forschungsfragen: erklären von deskriptiven Unterschieden
    • Zusammenhänge zwischen Phänomenen
    • aufbauend auf Beschreibung
    • Verknüpfung zu Theorien als Erklärungen

Beispiel Forschungsfragen

Aufgabe: Überlegen Sie sich eine normative, deskriptive und erklärende Forschungsfrage zur Zufriedenheit mit Demokratie.

Konzeptspezifikation

  • theoretische Klärung wichtiger Begriffe
    • Abgrenzung von Alltagsbegriffen
    • Auseinandersetzung mit Konzepten in der Literatur

z.B. ‘politisches Vertrauen

Aufgabe: Wie können wir den Begriff des politischen Vertrauens spezifizieren?

Hypothesenbildung

  • Formulierung von vorläufigen Aussagen über Ursachen und Wirkungen
    • deterministisch oder
    • probabilistisch / statistisch (in den Sozialwissenschaften häufiger)
  • Hypothesen sollten (relativ) allgemeingültig, falsifizierbar und widerspruchsfrei sein
  • sie müssen theoretisch begründet werden & messbar sein

Aufgabe: Welche Hypothesen zu politischem Vertrauen könnten wir aufstellen?

z.B.: Sozialisierung in einer Diktatur verringert (politisches) Vertrauen.

Operationalisierung

  • Operationalisierung: Übersetzung von Konzepten in messbare Indikatoren
    • viele der Konzepte die wir messen sind latent, d.h. sie können nicht direkt beobachtet werden - z.B. Vertrauen
    • Indikatoren helfen uns die Konzepte zu messen & darauf basierend Aussagen zu treffen
  • Aufgabe: Wie würden Sie die folgenden Konzepte messen: Wahlbeteiligung, Religion, Vertrauen
  • Wahlbeteiligung: Wahlabsicht, erinnerte Wahlbeteiligung, Wahlbeteiligung in einem Bezirk…
  • Religion: Religionszugehörigkeit, Glaube, Religionsausübung, Eintrag im Register, …
  • Vertrauen: Survey-Fragen nach Vertrauen in Institutionen, Vertrauen in Mitbürger:innen, …

Operationalisierung

Wichtige Begriffe:

  • Variablen: Merkmale eines Objekts / Untersuchungsgegenstands, die variieren / für die es mehrere Ausprägungen gibt ( ↔︎ Konstante)
  • abhängige Variable: Merkmal, dessen Variabilität wir erklären wollen
  • unabhängige Variable: Merkmal, das wir zur Erklärung verwenden
  • aber: ob eine Variable unabhängig oder abhängig ist, hängt von unserer Forschungsfrage und Hypothese ab
    • Bsp: höchster Bildungsabschluss der Eltern (uV) → höchster Bildungsabschluss (aV)
    • Bsp: höchster Bildungsabschluss (uV) → Einstellungen

Mögliche Datenerhebung

  • in der empirischen Forschung erheben wir oft selbst Daten
    • häufig gibt es aber auch bereits Daten - z.B. Umfragen - die wir nutzen können
  • wenn wir Daten erheben sind Fragen des Forschungsdesigns, der Fallauswahl, der praktischen Durchführung und der Aufbereitung zentral
  • wir werden am Ende des Semesters (kurz) über die Konzeption & Gestaltung von Umfragen sprechen, für Qualifizierungsarbeiten ist das aber meist zu viel Aufwand

Datenanalyse

  • Vielzahl von Möglichkeiten der Analyse, je nach Datenformat (Text oder Umfragedaten, Strukturiertheit, Datenmenge, …)
    • im Kurs lernen wir quantitative Methoden zur Analyse von Daten

→ einzelne Personen als Beobachtungen, über die wir verschiedene Variablen kennen

→ Analyse der Variablen und ihres Zusammenhangs

Zur Logik wissenschaftlicher Erklärungen

Wissenschaftliche Erklärungen

Bei erklärender Forschung geht es uns darum ein Ereignis (im weitesten Sinne) durch seine Ursachen zu erklären


\(Ursache\ U \rightarrow Ereignis\ E\)


Wie können wir sicherstellen, dass \(U\) wirklich die Ursache von \(E\) ist? (d.h. kausal erklären)

Kann nicht auch etwas anderes, zeitgleich auftretendes die Ursache sein?

Experimente

  • Experimente sind das ideale Szenario für kausale Erklärungen
    • Vergleich von Kontroll- und Experimentalgruppe
    • Veränderung der unabhängigen Variable durch Experiment
    • zufällige Zuordnung von Teilnehmenden zu Gruppen
  • Messung eines kausalen Effekts auf die abhängige Variable durch Vergleich der Gruppen

Experimente

In der Sozialwissenschaft sind Experimente aber häufig schwierig:

  • ethische Probleme
    • z.B. Einfluss von Disinformation auf Wahlverhalten
  • Zeitdimension
    • mögliche Ursachen sind oft vergangen - z.B. Finanzkrise, Kriege, politische Entscheidungen, …
  • praktische Probleme
    • Kosten und Logistik von Experimenten

Vergleichende Forschung

Häufig verwenden wir als Ersatz vergleichende Forschung:

  • verschiedene Individuen
  • verschiedene Länder
  • verschiedene Gegenden
  • verschiedene Schichten

→ durch den systematischen Vergleich fällt es uns leichter, Ursachen von zufälliger Gleichzeitigkeit zu unterscheiden, weil wir verschiedene Ausprägungen unserer Variablen ansehen.

Logiken des Vergleichs

Logiken des Vergleichs

Most similar|different systems design

  • John Stuart Mill: A System of Logic (1843)
    • method of difference
    • method of agreement
  • Übertragung in die Vergleichende Politikwissenschaft
    • most similar systems design
    • most different systems design

Most similar systems design

Ähnliche Fälle → verschiedene Ergebnisse

Viele Gemeinsamkeiten als Ausgangspunkt, die als Erklärung ausgeschlossen werden können

→ Suche nach Unterschieden, die Divergenz des Ergebnisses erklären

Beispiel: Zusammenbruch einiger Demokratien in einer bestimmten Region

Most different systems design

Unterschiedliche Fälle → gleiches Ergebnis

Viele Unterschiede, die als gemeinsame Erklärung ausgeschlossen werden können

→ Suche nach Gemeinsamkeit(en), die gleiches Ergebnis erklärt

Beispiel: Gleichzeitige Reformen in traditionell verschiedenen Wohlfahrtssystemen

Most similar|different systems design

Statistik

Bei statistischen Analysen können wir uns von MSSD / MDSD lösen, indem wir ausreichend große Fallzahlen untersuchen

Wir können die Gefahr von Fehlschlüssen verringern

Die Logik von Vergleich und Generalisierbarkeit bleiben aber relevant

Statistik & Vergleich

Herausforderung: Fallzahl & Zahl der Variablen

. . .

  • Das most similar|different systems design behandelt die Varianz einer Variable
  • ↔︎ für uns sind aber oft mehrere Variablen relevant / interessant

. . .

  • erst eine höhere Fallzahl erlaubt den Test mehrerer Variablen
    • Problem: Kovarianz der Variablen

Statistik & Vergleich

Herausforderung: Selektionsbias

  • manchmal bedingt unsere abhängige Variable, ob wir Daten haben
    • Bsp.: Wahl populistischer Parteien
    • Bsp.: Demokratiequalität & Häufigkeit von Protesten
  • → minimieren des sogenannten Selektionsbias

Statistik & Vergleich

Herausforderung: Drittvariablen & Galtons Problem

  • Drittvariablen können erklärende & erklärte Variablen beeinflussen
    • z.B. Bildung der Eltern, Haushaltseinkommen, höchster Bildungsabschluss
  • Fallübergreifende Entwicklungen können ebenso unsere Perspektive verzerren
    • z.B.: Globalisierung, die gleichzeitig auf verschiedene Staaten einwirkt

Logiken des Vergleichs

Fazit

  • Die Logik der Fallauswahl ist zentral für die Validität der Aussagen
    • Generalisierbarkeit ↔︎ Aussagen über Fall
    • Versuch einen Zusammenhang nachzuweisen
  • Statistische Vergleiche als Spezialform
    • variablenzentriert
    • Möglichkeit der Vollerhebung & leichtere Generalisierbarkeit
  • Forschungsdesigns sind Idealtypen, an die wir uns annähern
    • klassische Modelle: most similar|different systems design

Fazit

Herausforderungen:

  • Fehlschlüsse durch Forschungsdesign
  • selection bias
  • Drittvariablen
  • Galtons Problem: fallübergreifende Entwicklungen

Übung

Aufgabe

Überlegen Sie sich ein Forschungsdesign im Bereich des Seminarthemas.


Welches Thema interessiert Sie? Haben Sie bereits eine konkrete Idee für eine Forschungsfrage?

Wo würden Sie nach Literatur suchen?

Welche Länder oder Gruppen würden Sie vergleichen wollen? Wie würden Sie diese Auswahl treffen?

Welche Herausforderungen sehen Sie dabei?

Hausaufgabe

Installieren Sie R & RStudio

Nächste Woche: R Einführung

Thema: Erlernen des Umgangs mit R

  • Elena Llaudet and Kosuke Imai Data Analysis for Social Science: A Friendly and Practical Introduction (Princeton: Princeton University Press, 2023), S. 6-24 & S. 39-43
  • optional: Videos zu R Basics und Data Wrangling
  • optionale detaillierte R Einführung: Danielle Navarro "Learning Statistics with R," n.d., S. 37-109

Literatur

Tausendpfund, Markus. 2018. Quantitative Methoden in der Politikwissenschaft. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20698-7.